Pyrovasie wird die Feuertaufe genannt, bei der man barfuß über bis zu 700 Grad Celsius heiße Holzkohle läuft. Wir kennen dergleichen von indischen Fakiren, die ihre Körper offenbar ohne jedes Schmerzempfinden den seltsamsten Torturen aussetzen. Inzwischen gibt es den sogenannten Feuerlauf aber auch hierzulande – sogar als Motivationstraining. Was steckt dahinter, und ist diese „Mutprobe“ wirklich zu empfehlen?
Man kann nicht vorsichtig genug sein. Oder ist sind es genau Mahnungen wie diese, die uns ausbremsen, die uns daran hindern, neue Wege zu beschreiten, uns auszuprobieren? Beim Extrem-Event Feuerlauf jedenfalls scheiden sich die Geister. Motivationstrainer preisen den Gang über glühende Kohlen als ultimativen Selbsterfahrungstrip, Unternehmen bieten entsprechende Incentives als teambildende Maßnahmen an. Auch in psychologischer Hinsicht sprechen deutlich positive Effekte für die heiße Mutprobe. Allein die Überwindung kann das Selbstvertrauen ungemein stärken.
Für so manche Mediziner hingegen hört beim Feuerlauf der Spaß auf – denn die Unfälle häufen sich, und immer mehr Verbrennungsopfer landen in der Notaufnahme. Bevor du also an einem solchen Unterfangen teilnimmst, solltest du gut informiert und vorbereitet ins Rennen gehen.
Physikalische Kräfte statt metaphysische Energien
In der Coaching-Branche tummeln sich allerhand Anbieter, die das Blaue vom Himmel versprechen. Wer den Weg über die glühende Kohle schafft, dem gelingt auch alles andere, so die Verheißung. Aufwendig inszenierte Rituale erheben angeblich den Geist über die Materie, um die glühende Strecke unverletzt zu überqueren. Tatsächlich hat das Ganze weniger mit Geist als vielmehr physikalischer Materie zu tun. Meditative Einstimmung spielt hier keine Rolle.
Das Laufen über die heiße Glut ist überhaupt erst möglich, weil Kohle ein schlechter Wärmeleiter ist; die darüberliegende Asche isoliert zusätzlich. Und auch das Wasser, aus dem unser Körper zum größten Teil besteht, hat eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Insofern wirkt die Hitze der Kohle also vergleichsweise langsam auf die Fußsohlen – eine glühend heiße Metallplatte würde uns dagegen sofort die Haut versengen.
Tempo und Lauftechnik sind entscheidend
Ein normales bis zügiges Lauftempo ist ideal: Normalerweise berührt der Fuß bei einem Feuerlauf nicht länger als eine halbe oder eine ganze Sekunde den Boden. Zudem wird die Hitze teilweise von unserem Blut abgeleitet, das die Füße damit gewissermaßen aktiv kühlt. Je kürzer also die Kontaktzeit mit den glühenden Kohlen ist, desto weniger Hitze wird auf die Haut übertragen. Allerdings solltest du auch nicht zu schnell rennen, denn der Druck deines Körpergewichts wirkt dabei auf eine kleinere Fläche und intensiviert damit den Kontakt zum heißen Untergrund.
Zudem sind Fußballen und Fersen durch dickere Hautschichten beziehungsweise Hornhaut geschützt. Es lohnt sich also, nicht nur (wohldosiert) zügig über die Kohlen zu laufen, sondern auch möglichst mit Fersen und Fußballen aufzutreten, um den weicheren Bereich der Mittelsohle zu schützen.
Was tun bei Verbrennungen?
Verbrannte Fußsohlen solltest du vorsorglich so schnell wie möglich unter kaltes Wasser halten. Das lindert den Schmerz und reduziert die Gewebeschädigung. Bei schwereren Verbrennungen ist unbedingt ärztliche Hilfe gefragt – es gilt die Wunden fachgerecht zu säubern, medizinisch zu versorgen und abgestorbenes Gewebe abzutragen.
Normalerweise kann das Gewebe dank der Selbstheilungskräfte des Körpers von allein wieder nachwachsen. Bis zum 2. Verbrennungsgrad klappt das – abgesehen von möglichen Narbenbildungen – ganz gut, ab dem 3. Grad benötigt das Gewebe eine künstliche Hautverpflanzung, um die Wunde wieder zu verschließen. Verbrennungen 4. Grades sind beim Feuerlauf zum Glück bislang nicht bekannt; dabei werden tiefere Hautschichten, darunterliegende Muskeln, Sehnen und Knochen massiv geschädigt.
Die positiven Effekte
Wer sich an die Mutprobe Feuerlauf wagt, wird – sofern unverletzt – jedenfalls glücklicher auf der anderen Seite ankommen. Die Angst, Blockaden und persönliche Grenzen sind überwunden, der innere Schweinehund besiegt. Das dürfte allemal gut fürs Selbstbewusstsein sein. Und dass die gemeinschaftlich absolvierte Erfahrung den Teamgeist fördert, steht wohl auch außer Frage. Dennoch solltest du dir der Risiken bewusst sein – und dich auch niemals aus falsch verstandener Loyalität dem Gruppenzwang beugen. Mut kann nämlich auch heißen, einmal „Nein“ zu sagen.
Quellen und weiterführende Informationen:
https://www.trend.at/karriere/coaching-mythos-feuerlauf
https://www.sueddeutsche.de/wissen/frage-der-woche-ueber-gluehende-kohlen-ohne-verletzung-1.836650